Rede von Rechtsanwalt Dr. Ulrich Wollenteit auf dem Landesparteitag der FDP am 26.04.2001 im Bürgerhaus Wilhelmsburg, Hamburg

 

Vielen Dank, daß Sie mir Gelegenheit geben, hier auf Ihrem Landesparteitag zu sprechen.  Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, daß Sie mir diese Möglichkeit einräumen, obwohl ich nicht Mitglied Ihrer Partei bin.  Eine solche Offenheit ist in der Parteienkultur unseres Landes keinesfalls selbstverständlich.

Ich bin Rechtsanwalt und seit Inkrafttreten der Hundeverordnung intensiv mit der Gefahrhundproblematik befaßt.  Unter anderem bin ich tätig für die "Interessengemeinschaft verantwortungsbewußter Hundehalter".  Ich führe mehrere Musterprozesse, auch in anderen Bundesländern, und bin für eine Vielzahl von Einzelmandanten tätig.  Während meiner inzwischen 12-jährigen Tätigkeit als Rechtsanwalt bin ich noch nie vergleichbar häufig von verzweifelten Mandanten aufgesucht worden, wie in den letzten Monaten.  Die Furcht vor dem drohenden Verlust des geliebten Tieres führt in Mandantengesprächen nicht selten zu dramatischen Zusammenbrüchen.  Die Stigmatisierung, die für die betroffenen Halter mit dem Warnschildgebot sowie mit einem ständigen Leinen- und Maulkorbzwang verbunden sind, hat für viele Menschen verheerende Folgen.  Abfällige Kommentare von Nachbarn und Passanten sind an der Tagesordnung. Presseberichten zufolge ist es vereinzelt auch zur Anwendung physischer Gewalt gegen Hundehalter gekommen. 

Den Verwaltungsvorgängen, die ich zur Einsicht auf mein Büro bekomme, läßt sich entnehmen, daß unter Geltung der Hundeverordnung Denunziantentum grassiert. Hundehaltern, deren Hunde dem Nachbarn schon immer ein Dorn im Auge waren, werden wegen angeblicher Verstöße gegen die Hundeverordnung angeschwärzt, Vermieter gehen gegen Hundehalter vor. Hundehalter sind von der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ausgeschlossen.  Das Klima ist vergiftet.

Der grausame Anlaß der jüngsten Regulierungswelle, der Todesfall hier in Wilhelmsburg, dürfte allen noch in Erinnerung sein. Der 'I'odesfall hat etwas vor Augen geführt, was allzu leicht verdrängt wird, nämlich daß Hundehaltung in städtischen Ballungsräumen ein relevantes Sicherheitsproblem ist.  Trotz aller berechtigten Empörung und Betroffenheit über den Vorfall und seine Begleitumstände, ist diese Erkenntnis für jemanden, der die Fachdiskussion der letzten Jahre hierzu verfolgt hat, keinesfalls überraschend.  Alle Hunde verfügen über ein artgerechtes Aggressionsverhalten.  Alle Hunde stammen letztlich vom Wolf ab.  In der Literatur ist belegt, daß auch ein Dackelmischling in der Lage ist, einen tödlichen Biß zu setzen.  Konrad Lorenz hat bereits vor mehr als 20 Jahren prognostiziert, daß es jährlich 5 bis 10 Todesfällen durch Hundebisse geben könnte.  Nach Auskunft von Tierärzten kommt es jährlich zu weit mehr Todesfällen im Zusammenhang mit Pferden.  Setzt man die Zahlen ins Verhältnis zu den Risiken unserer modernen, technischen Zivilisation, etwa der Zahl von ca. 8.000 Unfalltoten im Jahr, wird deutlich, daß die Wahrnehmung der Gefahrhundproblematik in unserer medialen Öffentlichkeit mit einem hohen Maß an Irrationalität behaftet ist.

All dies ändert allerdings m. E. nichts an der Notwendigkeit, den Bürger wirksam vor gefährlichen Hunden schützen zu müssen.  Dieser Schutz hat jedoch mit Vernunft und Augenmaß zu erfolgen.  Eine verfassungsrechtlichen Erfordernissen genügende Regelung der Gefahrhundproblematik fordert als Grundvoraussetzung Rationalität.  Hiervon sind die gegenwärtigen Ansätze auf Bundes- und Länderebene weit entfernt.  In ihnen artikuliert sich eher ein verbreitertes Unbehagen, daß mit allgemeinen Vorbehalten gegen Umfang und Form von Hundehaltung in Großstädten im Zusammenhang stehen dürfte.

Als herausragendes Beispiel für eine unvernünftige Regelung ist die Hamburger Hundeverordnung besonders hervorzuheben.  Ganze zwei Tage benötigte der Hamburger Senat, um nach dem Wilhelmsburger Vorfall die schärfste Hundeverordnung der Republik in Geltung zu setzen. Übernommen wurde im Wesentlichen das bayerische Regulierungsmodell von Anfang der 90ger Jahre, welches sich durch einen Rassebezug, durch die Etablierung einer Erlaubnispflicht sowie durch ein Sammelsurium unterschiedlicher Haltungsregelungen, wie Sachkundenachweis, Zuverlässigkeitsprüfung, Kennzeichnung, Unfruchtbarmachung, Zucht- und Handelsverbot, Leinen- und Maulkorbzwang sowie Warnschildgebot auszeichnete.

Rasselisten werden jedoch von Fachleuten übereinstimmend als untaugliches Mittel zur Regulierung der Gefahrhundproblematik angesehen.  Eine Expertenanhörung in dem Abgeordnetenhaus von Berlin hat dies kürzlich erneut nachdrücklich belegt.  Es gab nicht einen einzigen Kynologen, nicht einen einzigen Verhaltensforscher oder Polizeiexperten, der einen rassebezogenen Regulierungsansatz für sinnvoll hielt.  Besonders beeindruckend war in Berlin die Stellungnahme des Leiters der Landespolizeischule in Nordrhein-Westfalen, der zugleich Leiter des Bund-/Länderarbeitskeises der Polizeihundeführer ist.  Auch dieser renommierte Sicherheitsexperte geht - wie alle Fachleute auf diesem Gebiet - davon aus, daß das Problem aggressiver Hunde kein rassespezifisches Problem ist.  Ein hyperaggressiver Hund resultiert regelmäßig aus einer problematischen Hund-Halter-Beziehung.

Empirische Befunde über die Auffälligkeit sogenannter Kampfhunde ergeben ein eher unspektakuläres Bild.  Um nur eine Zahl zu nennen: Nach einer nordrhein-westfälischen Statistik gingen in der Zeit von 1989-1997 der einzige registrierte Todesfall sowie 41,9 % der Verletzungen von Menschen durch Hunde auf Schäferhunde zurück.  Ob sogenannte Kampfhunde im Verhältnis zu ihrer Verbreitung überproportional häufig beißen, ist unter Fachleuten umstritten.  Nicht streitig ist demgegenüber, daß die registrierten Beißauffälligkeiten zum erheblichen Teil auf eine Minderheit unseriöser Halter zurückgeführt werden müssen, die in der Vergangenheit die sog. Kampfhunderassen mißbraucht hat.

Unseriöse Halterkreise weichen schon heute auf andere Hunderassen aus.  Aus der Frankfurter Hundekampfszene wird berichtet, daß neuerdings Wolfshybriden, also Rückkreuzungen mit Wölfen, Konjunktur haben sollen.  Anderen Orts werden Riesenschnauzer oder traditionelle deutsche Gebrauchshunde, wie Schäferhund, Rottweiler und Dobermann scharf gemacht. Regulierungsansätze, die den Sachverhalt ignorieren, dass unseriöse Halterkreise ihr Bedürfnis nach Haltung eines Imponierhundes mit Hunden aller Rassen umsetzen können, sind zum Scheitern verurteilt.

Die Hamburger Hundeverordnung ist das beste Beispiel dafür. Die Zahl der sog. "Kampfhunde" wurde bis vor kurzem noch auf ca. 5.000 geschätzt. Nach Ablauf der Anmeldefrist für die Kategorie I Hunde am 30.11.2000 wurden gerade mal 370 Anmeldungen registriert. Das Hamburger Beispiel zeigt, dass illiberale Regulierungsansätze Ausweichverhalten provozieren. Eine überstrenge Regulierung mag mit kurzfristigen Popularitätsgewinnen verbunden sein; relevante Sicherheitsgewinne können so jedoch nicht erzielt werden. Trotz aller gegenteiliger Beschwörungen des Senats kann mir niemand erzählen, dass Hamburg durch die Hundeverordnung sicherer geworden ist. Die Behauptung eines Rückgangs von Beißvorfällen kann aufgrund einer katastrophalen Datenlage - es fehlte und fehlt an einer ordentlichen Erfassung und Validierung - nicht einmal ansatzweise plausibel belegt werden. Die angeblichen Erfolgszahlen sind offenkundig falsch und stimmen auch nicht mit Erkenntnissen aus anderen Großstädten - etwa Berlin - überein, wo nach Einführung einer Gefahrhundregelung zunächst ein Anstieg der Bißvorfälle registriert wurde.

Tatsächlich dürfte es sich so verhalten, daß die angeblich "gefährlichen Hunde" von gestern überwiegend weiter in unserer Stadt leben. Keinem Hundehalter ist es zu verdenken, daß er seinen American Staffordshire - Mix nicht preisgibt, nachdem der erste Bürgermeister dieser Stadt, die martialische Maxime ausgegeben hat, Hamburg werde in kürzester Zeit kampfhundefrei sein und ein berechtigtes Interesse an der Haltung eines solchen Tieres werde es nur in seltenen Ausnahmefällen geben.

Der rechtstreue Halter eines Kategorie 1 - Hundes ist der Dumme.  Er muß darum zittern, ob er sein Tier behalten darf.  Ihm ist durch die extrem strikte Regulierung die Möglichkeit abgeschnitten, die Ungefährlichkeit seines Tieres durch einen Wesenstest nachzuweisen. Die Folge ist ein lebenslanger Leinen- und Maulkorbzwang, eine Pflicht zur Unfruchtbarmachung sowie eine konfiskatorische Hundesteuer in Höhe von DM 1.200,jährlich.

Nach hamburgischer Rechtslage darf keiner Person, die sich des Kapitalverbrechens einer Beförderungserschleichung schuldig gemacht hat, eine Erlaubnis zur Haltung eines Staffordshire Bullterriers erteilt werden.  Der Staffordshire Bullterrier ist der beliebteste englische Familienenhund und genießt in England eine ähnliche Verbreitung wie in Deutschland der Schäferhund.  Der lebenslange Leinen- und Maulkorbzwang verstößt bei Tieren, deren Ungefährlichkeit nachgewiesen wurde, gegen elementare Grundsätze der artgerechten Tierhaltung sowie gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Zusammenfassend ist festzustellen: Die Hamburgische Hundeverordnung muß zwangsläufig ihren Zweck verfehlen, weil sie den falschen Anknüpfungspunkt gewählt hat.  Nicht die Rasse ist gefährlich; gefährlich ist der Mensch am anderen Ende der Leine. 

Die illiberalste Hundeverordnung der Bundesrepublik Deutschland, die Hamburger Hundeverordnung, ist ein Tierschutz- und ein Bürgerrechtsthema par exellence.  Wenn ich richtig sehe, haben beide Themen in der Agenda Ihrer Partei in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt. 

Die Hundeverordnung verletzt die betroffen Halter in ihrem Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) sowie in ihrem Recht auf Eigentum (Art. 14 GG).  Das Warnschildgebot verletzt das Recht der Halter auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 GG).  Zahlreiche Regelungen sind unverhältnismäßig und verletzen geltendes Tierschutzrecht.

Besonders bedenklich ist auch das aktuelle Bundesgesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde. Hier bestehen nicht nur zusätzliche europarechtliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Warenverkehrsfreiheit, wie die Kommission der europäischen Gemeinschaft schon angemerkt hat. Völlig unbemerkt und ohne dass hierüber öffentlich diskutiert wurde, wird das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung in bedenklicher Weise eingeschränkt. Ohne richterlichen Beschluss sollen Beamte der zuständigen Behörden Grundstücke von Haltern, Geschäftsräume und Wirtschaftsgebäude sowie Wohnungen betreten dürfen.

Die Gefahrhundpolitik der hamburgischen Regierungsparteien hat wenig mehr als ein "Placebo" hervorgebracht. "Symbolic use of politics" zu Lasten der betroffenen Hundehalter trägt zur Lösung der Probleme nichts bei. Nicht die Suche nach einem sachgerechten Sicherheitskonzept, welches den Interessen aller Beteiligten sowie dem Tierschutz Rechnung zu tragen hätte, steht im Vordergrund.  Mit bedenklichem Populismus wird das Thema "Kampfhunde" dazu benutzt, sich auf dem Rücken einer kleinen Gruppe von Hundehaltern zum Thema "Innere Sicherheit" zu profilieren. Unter dem Beifall der Sensationspresse soll so offenbar die öffentliche Wahrnehmung der Regierungsarbeit auf einem Politikgebiet verbessert werden, auf dem den Regierungsparteien dieser Stadt sonst eher ein Kompetenzdefizit zugeschrieben wird.

Wenn Sie zu dieser fragwürdigen Haltung einen Kontrapunkt setzten wollen, werden dies viele in unserer Stadt sehr begrüßen.

 

Dr. Ulrich Wollenteit