Interview mit Frau Dr. Babara Schöning,
Leiterin des Arbeitskreises "Gefährliche Hunde"

Beim 22. Deutsche Tierärztetag in Würzburg befasste sich der Arbeitskreis 3 mit der Problematik der "gefährlichen Hunde". Die Hauptversammlung am 24. März 2000 stimmte über die Vorlagen des Arbeitskreises ab, sodass es mit diesen Standpunkten und Forderungen erstmals eine einheitliche Aussage der deutschen Tierärzteschaft dazu gibt.

Seit dem Würzburger Tierärztetag hat es allein in den ersten vier Wochen danach bundesweit mindestens 14 "Zwischenfälle" mit Hunden gegeben, die für die Tagespresse berichtenswert waren. In einem Fall waren Pferde die Opfer, in zwei weiteren andere Hunde, in allen anderen auch oder ausschließlich Menschen. "Täter" waren - soweit klar identifiziert - in diesen elf Fällen dreimal Pitbull-Terrier, je zweimal Rottweiler und Staffordshire-Terrier, ein Dobermann und eine Dogge. Die größten Schlagzeilenschrieb ein Fall, der sich am 9. April in Bremerhaven ereignete : ein Pitbull attackierte fünf Passanten, darunter drei Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren und fügte ihnen teilweise ganz erhebliche Verletzungen zu.

Ebenfalls der Presse war zu entnehmen, dass innerhalb von vier Wochen nach dem Tierärztetag mindesten 13 Kommunen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zur Besteuerung von "Kampfhunden" nutzten ( BVerwG 11 C 8.99 ) und Satzungen verabschiedeten, die "Kampfhunde" mit erheblich höheren Steuern belegen. die höchsten Beträge, die genannt wurden, waren für den ersten "Kampfhund" 2016 DM ( Mühlheim an der Ruhr ) und 6000 für den dritten "Kampfhund" ( Gemeinde Hoppenrade, Havelland ).

Auch Landes- und Bundespolitiker waren aktiv : Zwei Bundesländer ließen neue Verordnungen ( Hamburg, Thüringen ), fünf legten neue Entwürfe vor ( Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen ). die ständige Konferenz der Innenminister und Senatoren der Länder ( IMK ) verabschiedete am 5. Mai 2000 einen Maßnahmenkatalog, den sie den Ländern zur Aufnahme in die entsprechenden Landesgesetze und -verordnungen empfahl. Der Bundesrat fasste am 19. Mai 2000 eine Entschließung, mit der u.a. eine bundesrechtliche Regelung zum Verbot der Aggressionszucht von Hunden gefordert wird.

Wo steht die Tierärzteschaft mit ihrer Position in diesem hektischen, teilweise aktionistisch anmutenden Geschehen ? Das Deutsche Tierärzteblatt fragte Frau Dr. Babara Schöning.

? : Fünfzehn verletzte Menschen in nur vier Wochen - ist das Schutzbedürfnis des Menschen noch gewahrt ?

Schöning : von Hunden geht ein Gefahrenpotenzial aus - dies zu leugnen wäre fahrlässig : Aggressionsverhalten gehört bei allen Hunden, unabhängig von der Körpergröße, zum normalen Verhaltensrepertoire. Momentan sehe ich allerdings das Schutzbedürfnis der Bevölkerung nicht stärker durch Hunde gefährdet als vor sechs oder zwölf Monaten - trotz der Zahlen der letzten vier Wochen. Podberscek stellte 1994 in einer Veröffentlichung sehr deutlich dar, wie sich die Medien dieses emotionalen und gewinnträchtigen Themas annehmen. von Jahr zu Jahr wechselte die Rasse des "bösen Hundes" und es gab Wellen, in denen mal mehr und mal weniger über Hundebisse berichtet wurde - unabhängig von realen Beißstatistiken. Insofern lässt sich aus solch einer Berichterstattung der letzten vier Wochen nur ungenau ableiten, ob das Schutzbedürfnis der Bevölkerung tatsächlich jetzt akut gefährdet ist. Wir können davon ausgehen, dass Beißzwischenfälle in den letzten fünf bis sechs Jahren latent zugenommen haben. Dies lässt sich zumindest auch aus internen Statistiken bzw. privaten Mitteilungen innerhalb der "Gesellschaft für Tierverhaltenstherapie ( GTVT Deutschland )" und der "Association of Pet Behaviour Counsellours ( APBC Großbritannien )" ersehen. Auffällig ist hierbei besonders die Zunahme der Beißzwischenfälle innerhalb der sozialen Gruppe des Hundes - der eigenen Familie. Vertreten sind dabei übrigens Hunde aller Rassen, die Zwischenfälle sind nicht auf sog. Kampfhunde beschränkt. Gerade diese "privaten" Zwischenfälle werden aber nicht statistisch erfasst und gelangen selten bis nie in die Öffentlichkeit.

? : In einer Umfrage, die kürzlich in Brandenburg gemacht wurde, sprachen sich 75 Prozent für ein Verbot von "Kampfhunden" aus. Muss man nicht die Ängste, die daraus sprechen, ernst nehmen und tatsächlich bestimmte Rasen reglementieren ?

Schöning : Ängste sollten immer ernst genommen werden - die sollte aber lösungsorientiert erfolgen. Das Verbieten von bestimmten Rassen ist Kosmetik, die nicht hält, was sie verspricht. Hierbei muss auch hinterfragt werden, wie sehr die vielfach unsachliche und emotionale Berichterstattung der Medien zu diesen Ängsten beigetragen hat. Bestimmte Rasen zu reglementieren wird nichts an der Tatsache ändern, dass rasseunabhängig von Hunden Gefahren ausgehen können. Der Personenkreis, der Hunde als Statussymbol = Waffe einsetzt, wird unter Umständen bei Rassekatalogen erst auf bestimmte Rassen aufmerksam. Und wenn ein Verbot tatsächlich dazu führen sollte, dass Hunde dieser Rassen nicht mehr zu bekommen sein sollten, wird auf andere Rasen ausgewichen, die den gleichen Zweck erfüllen. Dass Rasseverbote an Beißstatistiken nichts ändern, zeigen Zahlen aus Großbritannien recht deutlich.

? : Es scheinen doch tatsächlich immer wieder und fast ausschließlich Hunde der Rassen zur Gefahr zu werden, die in den einschlägigen Katalogen als "Kampfhunde" geführt werden. Widerlegt da nicht die Alltagsrealität die Wissenschaft ?

Schöning : Wissenschaft bemüht sich um das exakte Erfassen von Daten, vergleichbare Fragestellungen, nachvollziehbare Methoden und statistisch relevante Aussagen. Medienberichte liefern höchstens ein Bild über die Themen, die emotional im Vordergrund stehen. Alltagsrealität könnte durch die Statistiken des Berichtes des Deutschen Städtetages geliefert werden - hinsichtlich deren Aussagekraft ist aber auch einiges zu bemängeln. Immerhin stehen aber so genannte Kampfhunde dort nicht an vorderster Stelle. die Alltagsrealität könnte die Wissenschaft nur widerlegen, wenn tatsächlich möglichst lückenlos über Beißzwischenfälle Buch geführt werden würde und alle relevanten Daten erfasst werden würden. Ein Anfang könnte hierbei eine generelle Meldepflicht für Verletzungen durch Tiere sein. In den USA, aber auch bei unseren direkten Nachbarn Österreich besteht solch eine Meldepflicht : Jeder Arzt ist z.B. zur Meldung verpflichtet, wenn ihm Eltern ein Kind zu r Behandlung vorstellen, welches vom Hund der Familie gezwickt wurde. Hier in Deutschland besteht für Ärzte momentan nur die Hintertür quasi über "Kindesmisshandlung wegen verletzter Aufsichtspflicht", wenn ein Kind tatsächlich massiv verletzt wurde.

? : Wenn sie bei einer rasseneutralen Beurteilung bleiben wollen - nach welchen Kriterien soll das geschehen ? Nordrhein-Westfalen will z.B. einen Hundeführerschein für alle Hunde, die größer als vierzig Zentimeter oder schwerer als 20 kg sind. Niedersachsen will Wesenstests einführen.

Schöning : Rasseneutrale Beurteilung bedeutet eine individuelle Beurteilung. Hier fließt zwangsläufig die Größe mit ein - aber nicht nur. Die Vorgeschichte des Hundes, die Entwicklungsgeschichte des Aggressionsverhaltens und die direkte Beurteilung des Hundes vor Ort liefern die Kriterien, nach denen entschieden wird. Wichtig ist die Beurteilung des Individuums im so genannten Wesenstest, um eine Aussage darüber zu treffen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass dieser Hund ( noch einmal ) einem Menschen/Tier gefährlich werden könnte. Dabei ist durchaus der Schwerpunkt auf die Prophylaxe zu legen. Ein "Hundeführerschein", der dem Besitzer die nötige Kenntnis im Umgang mit Hunden bescheinigt, ist zu begrüßen. Das "Wesen des Hundes" wird bedingt durch ererbte und erlernte Elemente. Lernen kann der Hund nur auf der Grundlage seiner genetisch fixierten "Hardware" - aber Lernen tut er vom ersten Tag seines Lebens an und der Faktor in der Umwelt, der den Hund am maßgeblichsten beeinflusst, ist nun mal der Besitzer. Viele "böse" Hunde sind hausgemacht - und der kleinste Teil davon mit Absicht.
Mehr Sachkunde beim Hundehalter ( einschließlich Züchter ! ) halte ich deshalb für absolut notwendig. Der Wesenstest wäre dann das zweite Standbein. So könnten bei allen Rassen Potenziale an Zuchttieren herausgefiltert werden, die sich durch eine nur mäßige Aggressionsbereitschaft auszeichnen, um mit diesen weiterzuzüchten. Dass Wesenstests nun zunächst auf bestimmte Rassen beschränkt sind und der Hundeführerschein nur für Hunde ab 20 kg gilt, sehe ich als den Beginn einer zielorientierten und praktikablen Lösung : Irgendwo muss einfach der Anfang gemacht werden. Diese Regelungen sind zu begrüßen im Vergleich zu Rassekatalogen, generellen Zwangskastrationen etc. Die Praxis wird dann zeigen, ob für Rassen unter 20 kg Körpergewicht der "Hundeführerschein" auch zu gelten hat oder nicht und wie es mit den standardmäßigen Wesenstests für alle Zuchttiere aussehen muss.

? : der Würzburger Beschluss sieht Tierärztinnen und Tierärzte als die geeigneten Sachverständige, um die "Gefährlichkeit" von Hunden zu beurteilen. Brauchen diese Tierärzte eine besondere Qualifikation ?

Schöning : Tierärztinnen und Tierärzte sind aufgrund ihrer Ausbildung und der gesetzlichen Vorgaben ihrer Berufsausübung, wie Dokumentationspflicht und Pflicht zur Haftpflichtversicherung ( einschließlich Bindung an die GOT ), die geeigneten Sachverständigen. Es gibt keinen Beruf "Hundeausbilder" mit staatlich anerkanntem Abschluss - ebenso wenig den Beruf des "Hundebeurteilers" mit entsprechenden Qualifikationen. Zur Beurteilung von Hunden gehört Fachwissen in Ethologie, Lernbiologie, Neurophysiologie Pharmakologie, Physiologie, Innerer Medizin, rechtlichen Grundlagen einschließlich Tierschutzrecht.
Einzig im Studium der Veterinärmedizin werden diese Themenkomplexe gemeinsam abgehandelt - wenn auch der Komplex "Verhalten" in Theorie und Praxis momentan zu kurz kommt. Und selbst wenn in absehbarer Zeit die theoretische und praktische Ethologie an den Hochschulen mehr vertreten sein sollte, werden sich die Kolleginnen und Kollegen für diese spezielle Tätigkeit wohl immer fortbilden müssen - besonders in der Praxis der eigentlichen Beurteilung. Eine entsprechende nachweisliche Qualifikation ist also von Nöten, um von Gesetzgeber und den Verbänden als Sachverständige/r anerkannt zu werden.

? : wie und wo können die Kolleginnen und Kollegen solche Fortbildungen finden ? Und lohnt sich der zeitliche und finanzielle Aufwand überhaupt für den Einzelnen ?

Schöning : Solche Fortbildungen werden seit einigen Jahren von engagierten Kolleginnen und Kollegen angeboten und in der letzten Zeit auch vermehrt von Verbänden wie z.B. dem BPT. Die ATF veranstaltet seit längerem eigene Seminarwochenenden und hat durch die Anerkennung on ATF Stunden ein Auge auf die Qualität der privaten Veranstalter. Alle Veranstaltungen werden generell im Deutschen Tierärzteblatt angekündigt.
Der finanzielle und zeitliche Aufwand für den Besuch derartigert Veranstaltungen lohnt sich sicherlich. Die Verhaltenstherapie an sich und die Beurteilung von Hunden als ein Teilaspekt daraus sind Tätigkeitsfelder, in denen die Tierärzteschaft in den nächsten Jahren immens expandieren kann und muss. Ich halte die Verhaltenstherapie für ein ureigenes veterinärmedizinisches Spezialgebiet. Die Beurteilung des Hundes ist dabei immer Teil der Diagnostik, die vor der Erstellung eines Therapierationals erfolgen muss. Je mehr Kolleginnen und Kollegen hier tätig werden und sich qualifizieren, um so zügiger kann sich die Tierärzteschaft diesen Bereich (zurück)erobern.

? : Wie kann gewährleistet werden, dass die Qualifikation überall bundesweit anerkannt wird ?

Schöning : Dies könnte zum einen über weitgehend angeglichene Weiterbildungsordnungen der einzelnen Landeskammern gehen. Da eine "Zusatzbezeichnung "Beurteilung von Hunden" wohl zu speziell wäre, sollte hier die Zusatzbezeichnung "Tierverhaltenstherapie" möglichst in allen Weiterbildungsordnungen der einzelnen Kammern vorhanden sein. Vor jeder Therapie muss schließlich immer die Beurteilung stehen - und so würde diese Zusatzbezeichnung eine Qualifikation darstellen. Einzelne Bundesländer bzw. deren relevante Ministerien planen schon jetzt, Tierärztinnen und Tierärzte als Sachverständige zur Beurteilung von Hunden in den jeweiligen "Hundeverordnungen" ( Gefahrenabwehr VO etc. ) explizit zu benennen. Unter Umständen ist es dann ausreichend, eine begrenzte Fortbildungsreihe "Hundebeurteilung" unter dem Dach der ATF anzubieten.

? : Wie schätzen sie die Empfehlungen der Innenministerkonferenz ein ? Könne beispielsweise Kastrationsgebote, Handelsverbote oder Meldepflichten etwas bewirken ? Und was halten sie von den Zuchtverboten, wie sie mit der Entschließung des Bundesrates gefordert werden ?

Schöning : Zuchtverbote bzw. Kastrationsgebote können tatsächlich etwas bewirken. Auch hier ist aber wichtig, dass einzelne Zuchtlinien betroffen sind und nicht pauschal ganze Hunderassen verurteilt werden. Auch bei anderen Rassen als den so genanten Kampfhunden kennen wir Zuchtlinien, die sich durch eine erhöhte Bereitschaft zu aggressivem Verhalten bzw. durch eine erhöhte Angstbereitschaft auszeichnen - und die meisten aggressiven Handlungen eines Hundes geschehen aus Angst heraus. Ein Wesenstest für Zuchttiere und eine dauerhafte Kennzeichnung über Mikrochips sowie ein Kastrationsgebot für die Tiere, die den Wesenstest nicht bestehen, sind sicherlich geeignete Maßnahmen, um Zwischenfälle zu reduzieren. Parallel gehört der Sachkundenachweis bei Züchtern und Haltern dazu. Es wird immer Personen geben, die gegen solche Verordnungen verstoßen - genauso wie gegen Gesetze zum Umgang mit Waffen verstoßen wird. Aber alleine die Tatsache, dass solche Gesetze sachliche Elemente wie Kennzeichnung, Sachkunde etc. in die Öffentlichkeit rücken, wird sich positiv auswirken. Die meisten Zwischenfälle mit Hunden passieren nach wie vor in "Privathand" und nicht im Milieu von Zuhältern und anderen Kriminellen. Es wäre schon sehr nützlich im Hinblick auf eine Reduktion von Zwischenfällen mit Hunden, wenn potenzielle Welpenkäufer den Züchter danach auswählen würden, ob er seine Welpen ausreichend sozialisiert. Genau dies könnte erreicht werden, wenn die in der Innenministerkonferenz erarbeiteten Beschlüsse umgesetzt und sachlich in der Öffentlichkeit diskutiert würden.

? : Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendeine Kommune eine besondere Steuerklasse für "Kampfhunde" einführt. Sehen Sie einen Nutzen darin ?

Schöning : durch eine höhere Hundesteuer für so genannte Kampfhunde wird keine Gefahrenabwehr betrieben. Wer seinen Hund wirklich als Waffe benutzen will, hat entweder das nötige Kleingeld oder meldet ihn gar nicht erst an. Für die anderen gilt hinsichtlich der Gefahrenabwehr das zuvor gesagte.

? : 56 Prozent der Deutschen möchten einen "Führerschein für Kampfhunde" ( Dimap Umfrage, Ende März 2000 ). Auch der Tierärztetag hat Sachkunde beim Hundehalter gefordert - nur für bestimmte Rassen oder für jeden Dackelhalter ?

Schöning : Im Sinne der Gefahrenabwehr und des Tierschutzes gleichermaßen sollte jeder Hundehalter die nötige Sachkenntnis besitzen - unabhängig von der Größe des Hundes. Nur so könnte zum Beispiel Pseudo Tierheimen vorgebeugt werden, die Welpen vermitteln, nachdem diese zuvor durch die ganze Republik gekarrt werden. Die Käufer wundern sich mangels Sachkenntnis nicht darüber, dass kein Muttertier dabei ist bzw. hinterfragen nicht, wieso ein in Hamburg abzugebender Welpe einen Stempel aus Bayern im Impfpass hat. Solche Welpen zeichnen sich später durch Deprivationsschäden in ihrer sozialen Entwicklung des Kommunikationsverhaltens aus - Problemverhalten ist zumeist vorprogrammiert. Mangelnde Sachkenntnis des Halters = Gefahrenpotenzial für Umwelt und Hund. Aus tierärztlicher Sicht ist Sachkunde bei jedem Tierhalter zu fordern und zu fördern, unabhängig von der Größe.

? : Welche Inhalte soll eine solche Sachkundeprüfung haben und vor allem - wer soll prüfen ?

Schöning : Der Sachkundenachweis kann in form einer theoretischen Prüfung abgelegt werden, wenn noch kein Hund angeschafft wurde und muss um eine praktische Prüfung bzw. durch sie ergänzt werden, sobald ein Hund vorhanden ist. Die praktische Prüfung könnte eine Art "Begleithundeprüfung" oder "Team Test" sein. Im theoretischen Teil sollte Wissen über hundliches Normalverhalten, das Sozialverhalten und die Kommunikation sowie über Lernverhalten und Ausbildungsmethoden abgeprüft werden. Auch Hunde betreffendes allgemeines Tierschutzrecht sollte kurz angerissen werden. Prüfungen könnten von den Amtveterinären, besser aber noch von direkt beauftragten Tierärztinnen und Tierärzten abgenommen werden. Auch diese Kolleginnen und Kollegen müssen entsprechend qualifiziert sein. der Staat muss hierfür entweder zusätzliche Stelen schaffen bzw. diese Aufgabe an entsprechend qualifizierte Tierärztinnen und Tierärzte übertragen. spätestens hier wird die Frage nach der Durchführbarkeit kommen. Dem kann entgegengehalten werden, dass Menschen auch nicht regelmäßig nach ihrem Führerschein gefragt werden - und trotzdem haben wir ein System, in dem sicher die meisten Autofahrer einen Führerschein besitzen. In Kombination mit einer Pflicht zur dauerhaften Kennzeichnung von Hunden ist solch ein Sachkundenachweis umsetzbar.

? : Offensichtlich haben sich die Beziehungen zwischen Tier und Mensch in den letzten Jahren geändert. Die Probleme, sowohl am oberen wie auch am unteren Ende der Hundeleine, scheinen immer größer zu werden. Muss das nicht Konsequenzen für die tierärztliche Ausbildung haben ?

Schöning : Die Beziehung zwischen Mensch und Hund hat sich in den letzten 30 Jahren tatsächlich drastisch geändert. Hunde begleiten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens und erfüllen eine Vielzahl von Aufgaben. Dabei sind die ursprünglichen Arbeitsbereiche ( Jagd, Hüten, Lasten zeihen, Bewachen etc. ) etwas in den Hintergrund getreten und wenig neue ( Führhunde, Servicehunde ) dazugekommen. Heute sind Hunde zumeist Begleiter in einem Alltag, der für den Hund direkt wenig Arbeit hergibt. sie sind Sozialpartner neben anderen Menschen und zum Teil sogar anstatt des Menschen geworden - dies kann wohl als ihre Hauptaufgabe angesehen werden. In der tierärztlichen Ausbildung muss diesen Änderungen Rechnung getragen werden. Nur so können sich Tierärztinnen und Tierärzte als die kompetenten Ansprechpartner "rund um den Hund" behaupten. Dies bedeutet nicht nur eine stärkere Berücksichtigung von theoretischer Ethologie, Lernbiologie und Tierschutz in den Vorlesungen. Auch praktische Übungen müssen angeboten werden, z.B. in der Gesprächsführung mit Patientenbesitzern, in der Beurteilung von Hunden, in der Verhaltensanamese, in Maßnahmen zur Verhaltensmodifikation beim Hund und in der praktischen Ausbildung von Hunden. Das eben für den Hund Gesagte gilt gleichermaßen auch für Pferde, Heimtiere, Papageien und Katzen, wobei für Katzen und Heimtiere der Ausbildungsbereich ausgeklammert werden kann ( aber nicht muss....)

? : Welche konkreten Schritte sind jetzt geplant, um die Beschlüsse des Tierärztetages zur Wirkung zu bringen ?

Schöning : Der im Beschluss des Deutschen Tierärztetages geforderte Ausschuss wird Anfang Juli zum ersten Mal tagen und konkrete Vorschläge zu einer Hundehaltungsverordnung erarbeiten. In diese Vorschläge werden die anderen Punkte des Beschlusses vom Tierärztetag einfließen : Kennzeichnungspflicht, individuelle Beurteilung der Gefährlichkeit, Sachkunde bei Haltern und Züchtern etc. Auf dieser Sitzung wird zwangsläufig über weitere Aktivitäten diskutiert werden.'
Wenn in der Hundehaltungsverordnung, wie in einigen Landesverordnungen zur Gefahrenabwehr, die Tierärztinnen und Tierärzte als Sachverständige genannt werden, muss in den nächsten Monaten ein Fortbildungssystem durch die ATF etabliert werden, sodass die entsprechende Qualifikation von möglichst vielen Kolleginnen und Kollegen zügig erworben werden kann. Solche Fortbildungen sollten von der BTK ( hier ATF ) koordiniert werden. Eine Gruppe innerhalb der Tierärzteschaft sollte die Planung und die Durchführung übernehmen. eine Beteiligung aller interessierten BTK-Mitgliedsorganisationen und der Gesellschaft für Tierverhaltenstherapie (GTVT ) in dieser Gruppe ist wichtig.

Genehmigter Nachdruck aus: Deutsches Tierärzteblatt, Juli 2000

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