A.
Univ. Prof. Dr. Irene Stur
Institut
für Tierzucht und Genetik
Veterinärmedizinische
Universität
A-1210
Wien, Veterinärplatz 1
e-mail:
Irene.Stur@vu-wien.ac.at
Überlegungen
zu den möglichen Auswirkungen von ständigem Leinen- und
Maulkorbzwang
Die
Verpflichtung, einen Hund außerhalb des eigenen Wohnbereiches
ausschließlich an der Leine und mit Maulkorb zu führen mag auf
den ersten Blick als sinnvolle Maßnahme im Rahmen der
Gefahrenabwehr erscheinen. Es gibt aber eine Reihe von Argumenten
aus dem Bereich des Tierschutzes aber auch der Gefahrenabwehr,
die gegen eine solche Maßnahme im Rahmen der allgemeinen
Prävention sprechen.
Leinenzwang:
Ein
ständiger Leinenzwang macht es dem Hund unmöglich, sein art-
und im Einzelfall auch sein rassetypisches Bewegungsbedürfnis
auszuleben. Eine Bewegung ausschließlich an der Leine ist somit
nicht als artgerechte Haltung anzusehen und stellt einen Verstoß
gegen das Tierschutzgesetz dar.
Durch
die fehlende Befriedigung des Bewegungsbedürfnisses kommt es zu
einem Sinken der Reizschwelle. Hunde, die sich ausschließlich an
der Leine bewegen dürfen, werden somit in jedem Fall
gefährlicher als Hunde, die sich ausreichend bewegen können. Es
ist daher damit zu rechnen, dass der Anteil von Bissvorfällen
mit Hunden durch generellen Leinenzwang eher steigt als sinkt, wobei
voraussichtlich in erster Linie Bissvorfälle in der eigenen
Familie, die ja auch jetzt schon den größten Anteil an
Bissvorfällen ausmachen, gehäuft auftreten werden.
Die
Aggressionsbereitschaft von Hunden, die an der Leine geführt
werden, ist höher als bei frei laufenden Hunden. Dafür sind im
wesentlichen zwei Ursachen verantwortlich.
1.)
Hunde, die durch die Leine festgehalten werden, haben weniger
Möglichkeit einer für den Hund bedrohlich erscheinenden
Annäherung durch Menschen andere Hunde oder Objekte
auszuweichen. Bei zu starker Annäherung kann es dadurch zu
ansonsten vermeidbarer Verteidigungsaggression kommen.
2.)
Hunde, die an der Leine geführt werden, fühlen sich durch den
Besitzer am anderen Ende der Leine gestärkt. Das kann im
Einzelfall dazu führen, dass sie eine Auseinandersetzung mit
einem anderen Hund, der sie ansonsten aus Gründen der
Selbsterhaltung ausweichen würden, annehmen, was wiederum eine
vermeidbare Gefahrensituation zur Folge hat.
Maulkorbzwang
Ein
ständig getragener Maulkorb schränkt wesentliche physische und
psychische Funktionskreise ein:
Thermoregulation:
ein Großteil der Thermoregulation des Hundes findet über das
Hecheln statt, durch das eine Luftbewegung im Bereich der
vorderen Atemwege erzeugt wird, die zu einer Kühlung des Blutes
in den stark durchbluteten Nasenhöhlen führt. Fehlende
Möglichkeit zum Hecheln führt insbesondere in der warmen
Jahreszeit zu einem Wärmestau, der insbesondere bei älteren
Hunden oder bei Hunden mit einer bestehenden Erkrankung des Herz-
Kreislaufsystems bis zum Tod führen kann.
Passform:
Bei nicht ideal passendem Beißkorb kommt es zu Druckstellen bzw.
zu Scheuerverletzungen der Haut, die allenfalls das weitere
Tragen eines Beißkorbes unmöglich machen und damit, bei
strenger Auslegung des Beißkorbzwanges ein Ausführen des Hundes
nicht mehr möglich erscheinen lassen.
Beide
Aspekte sind als Verstöße gegen das Tierschutzgesetz anzusehen.
Verhaltensphysiologische
Aspekte:
Ein
wichtiger Bestandteil der innerartlichen Kommunikation zwischen
Hunden stellt die Mimik dar. Ein Maulkorb ist in diesem Sinn als
eine Art Maske anzusehen, Hunde können gegenseitig ihre Mimik
nicht mehr genau erkennen und daher auch nicht richtig
interpretieren, was zu Missverständnissen zwischen Hunden und
damit allenfalls wiederum zu vermeidbaren Konflikten führen
kann. Da eine sehr häufige Ursache von Verletzungen von Menschen
durch Hunde das Eingreifen in eine Auseinandersetzung zwischen
zwei Hunden ist, wird somit durch die Maßnahme eines ständigen
Maulkorbzwanges die von Hunden ausgehende Gefahr in diesem
Bereich erhöht. Zudem ist damit ebenfalls ein Verstoß gegen das
Tierschutzgesetz gegeben.
Hunde
erleben ihre Umwelt in erster Linie über ihren Geruchssinn; ihre
Methode die Gerüche ihrer Umgebung aufzunehmen besteht im
Erschnüffeln dieser Umgebung. Durch einen Maulkorb sind die
Hunde massiv im Schnüffeln beeinträchtigt, was zu einer
Reizverarmung führt und damit eine wesentliche Beeinträchtigung
einer artgemäßen Lebensqualität darstellt. Auch auf dieser
Basis stellt somit ein genereller Maulkorbzwang einen Verstoß
gegen das Tierschutzgesetz dar.
Leinenzwang
in definierten Bereichen ist somit nur vertretbar, wenn genügend
Plätze zur Verfügung stehen, an denen sich Hunde frei bewegen
können.
Maulkorbzwang
ist nur bei gesunden Hunden und zeitlich bzw. örtlich befristet
vertretbar, ein genereller Maulkorbzwang im Einzelfall sollte
wenn überhaupt nur als letzte Möglichkeit der Sicherung von
tatsächlich als gefährlich erkannten Hunden eingesetzt werden
und auch in diesen Fällen nur zeitlich befristet bis zur
Absolvierung einer korrigierenden Ausbildung.